italienische Malerei des 18. Jahrhunderts: Das Vermächtnis der Vergangenheit

italienische Malerei des 18. Jahrhunderts: Das Vermächtnis der Vergangenheit
italienische Malerei des 18. Jahrhunderts: Das Vermächtnis der Vergangenheit
 
Nachdem die italienische Kunst in der Malerei des Barocks einen Höhepunkt erreicht hatte, zehrte sie im 18. Jahrhundert von der großen Vergangenheit ihrer lokalen Traditionen. Dabei ging die Führung von den bis dahin bestimmenden Zentren Rom, Neapel und Genua auf Venedig über, das nach einem eher von Stagnation gekennzeichneten Jahrhundert eine letzte kulturelle Blütezeit erlebte, die alle Künste umfasste.
 
In unterschiedlichsten Gattungen schufen die venezianischen Künstler Werke von unverwechselbarer Art, die für die vielgestaltigen antibarocken Tendenzen des 18. Jahrhunderts stehen und mit dem Stilbegriff »Rokoko« nicht zu fassen sind. Hierzu gehören besonders die Porträts der Rosalba Carriera, die Alltagsszenen Pietro Longhis, die Altargemälde Sebastiano Riccis und Giovanni Battista Piazzettas oder die Deckengemälde Giovanni Battista Tiepolos, des bedeutendsten Monumentalmalers der Epoche. Die venezianische Vedutenmalerei erhob die besondere Topographie der Lagunenstadt zu einem Bildinhalt von eigenem Wert und prägte Erwartung wie Erinnerung ganzer Generationen von Reisenden. Die Künstler Venedigs beschränkten sich aber nicht nur auf eine Tätigkeit in ihrer Heimatstadt, sondern arbeiteten oft auch im Auftrag europäischer Aristokraten im Ausland - etwa in Spanien, England, Deutschland oder Russland.
 
Die kleinformatigen Bilder des in Bologna ausgebildeten Pietro Longhi mit ihren intimen, alltäglichen Szenen folgen dem Geschmack ihrer Zeit und bieten humorvolle Kommentare jenseits bloßer Beschreibung. Longhis ausgewogene, koloristisch delikate Kompositionen vermeiden jeden Anschein beißender Sozialkritik und waren daher ebenso beliebt wie die Komödien seines venezianischen Zeitgenossen Carlo Goldoni, mit dem Longhi oft verglichen wird. Den international bedeutendsten Beitrag zur Porträtkunst des 18. Jahrhunderts verdankt Italien der venezianischen Pastellmalerin Rosalba Carriera. Ihre zartfarbigen Porträts und allegorischen Figurendarstellungen waren in ganz Europa populär, Carrieras Aufenthalt in Paris 1720/21 beeinflusste die französische Kunst von Maurice-Quentin de La Tour bis zu Jean-Baptiste Greuze nachhaltig. Giovanni Battista Piazzetta bereicherte die venezianische Malerei um das dramatische Hell-Dunkel und den Realismus der römischen und genuesischen Tradition, wie sie seit Caravaggio bestand und mit Bernardo Strozzi auch Venedig schon berührt hatte. Sebastiano Ricci, der an vielen Orten Italiens, aber auch in Wien, Paris und London tätig war, bemühte sich besonders um den Anschluss an die venezianische Tradition des 16. Jahrhunderts, indem er sich an den Gemälden Paolo Veroneses orientierte. An diese Vorgaben knüpfte Tiepolo an, der schon als Zwanzigjähriger venezianische Kirchen oder die Paläste und Villen der Neureichen zu dekorieren begonnen hatte. Sein sich rasch verbreitender Ruf als herausragender Staffeleimaler und Freskant führte auch ihn bald ins Ausland, zum Beispiel ins damals habsburgische Mailand, nach Würzburg und Madrid, wo er zum Ruhm seiner adligen Auftraggeber einige der beeindruckendsten Deckengemälde des 18. Jahrhunderts schuf.
 
In Tiepolos Werk spiegelt sich am deutlichsten der ausgeprägte Traditionsbezug der venezianischen Malerei. Der bewusste Rückgriff auf die Farbigkeit, die Kompositionen, die Bildformen, ja sogar die Kostüme des 16. Jahrhunderts - unverkennbar dargeboten in Werken des 18. Jahrhunderts - diente der Vergewisserung der Auftraggeber, und einer legitimen Teilhabe an der großen Tradition des venezianischen Gemeinwesens. Um ideell noch am Glanz des »goldenen Zeitalters« der venezianischen Geschichte teilhaben zu können, erkor man hier im 18. Jahrhundert die Kunst Paolo Veroneses und seiner Zeit zur klassischen, nachahmenswerten Norm, was einem regelrechten »Klassizismus« gleichkam.
 
Doch auch die neue, um 1750 beginnende Kunstströmung, die man im deutschsprachigen Raum herkömmlicherweise als Klassizismus bezeichnet, bereitete sich in Italien vor, besonders in Rom, wo der aus Venedig stammende Architekt und Kupferstecher Giovanni Battista Piranesi seine Ansichten und Rekonstruktionen antiker Bauten schuf. In Rom gab es - wie auch in Bologna - seit der Renaissance eine sehr lebendige Kunsttradition, die von der Antike inspiriert war. Dort wirkten um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Maler Pompeo Batoni und Anton Raphael Mengs, die am Vorbild antiker Skulpturen und der Gemälde Raffaels geschult waren; hier arbeitete Mengs in engem Austausch mit Johann Joachim Winckelmann seine ästhetische Theorie aus. Ihre strengen Kompositionen wurden besonders von den französischen Künstlern geschätzt, die an der römischen »Académie de France« studierten - etwa der junge Jacques-Louis David, dessen spätere Gemälde zu den Hauptwerken des Klassizismus gehören sollten.
 
Prof. Dr. Matthias Bleyl
 
 
Bauer, Hermann und Sedlmayr, Hans: Rokoko. Struktur und Wesen einer europäischen Epoche. Köln 1992.
 Hofmann, Werner: Das entzweite Jahrhundert. Kunst zwischen 1750 und 1830. München 1995.
 Keller, Harald: Die Kunst des 18. Jahrhunderts. Sonderausgabe Berlin 1990.
 
Venedig. Malerei des 18. Jahrhunderts, herausgegeben vonErich Steingräber. Ausstellungskatalog Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung. München. München 1987.

Universal-Lexikon. 2012.

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